00.Feb.1933 -Im- hatte ein Filmregisseur mit einer Filmgesellschaft einen Vertrag abgeschlossen.
Vereinbart worden war, daß die Gesellschaft das Recht haben sollte, vom Vertrage zurückzutreten,
falls der Regisseur »durch Krankheit, Tod oder ähnlichen Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit im Stande« sein sollte.83
Als kurze Zeit nach der Unterzeichnung des Vertrages die große antisemitische Hetze begann,sagte sich die Filmgesellschaft von dem Vertrage los +verweigerte die Honorarzahlung.
Das Reichsgericht hatte zu entscheiden, ob Jüdische Abstammung ebenso einen Grund für das Erlöschen eines Vertrages bilden könne wie dies bei Krankheit und Tod der Fall sei.
Das Reichsgericht hat die Analogie als berechtigt anerkannt und die Klage abgewiesen. Das Reichsgericht führte aus:
»Die frühere (liberale) Vorstellung vom Rechtsinhalte der Persönlichkeit machte keine grundsätzlichen Wertunterschiede nach der Gleichheit oder Verschiedenheit des Blutes . - - Der nationalsozialistischen Weltanschauung dagegen entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (und gesetzlich ihnen Gleichgestellte) als rechtlich vollgültig zu behandeln.
Damit werden grundsätzliche Abgrenzungen des früheren Fremdenrechts erneuert und Gedanken wiederaufgenommen, die vormals durch die Unterscheidung zwischen voll Rechtsfähigen und Personen minderen Rechts anerkannt waren.
Den Grad völliger Rechtslosigkeit stellt man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich; die Gebilde des 'bürgerlichen Todes“ und des „Klostertodes“ empfingen ihre Namen aus dieser Vergleichung. Wenn in Nr. 6 des Manuskript-Vertrages vom
24.Feb.1933 davon die Rede ist, daß Ch. „durch Krankheit, Tod oder ähnlichen Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte“, so ist unbedenklich eine
aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten.«84
»Unbedenklich«
- man muß ein Gefühl für die Nuancen der deutschen Sprache haben, um die Ungeheuerlichkeit dieser Entscheidung zu ermessen.
Wenn das höchste deutsche Gericht ohne zu zögern über 600 000 Menschen zum »bürgerlichen Tod« verdammt und sich dann mit ein paar Phrasen aus der Kanzlistensprache rechtfertigt, erübrigt sich jeglicher Kommentar.
00.000.1920 forderten die Nationalsozialisten in ihrem Parteiprogramm, daß die Juden unter Fremdenrecht gestellt werden sollten.
00.000.1938 -Seit- stehen die Juden nicht mehr unter Fremdenrecht, sie stehen außerhalb jeden Rechts, hors la loi.
Die Rechtsstellung der Juden in Deutschland ist nicht auf das Parteiprogramm zurückzuführen, sie Ist nur aus dem Wesen des Maßnahmenstaates heraus zu begreifen-
Nicht das Parteiprogramm, sondern der Belagerungszustand ist dieVerfassung des Dritten Reiches.
Der ewige Belagerungszustand hat die Beeinträchtigung der Rechtsstellung ganzer Bevölkerungsgruppen ermöglicht und eine Minderheit der elementarsten Rechte beraubt.
Diese »unbedenkliche« Anwendung des ewigen Belagerungszustandes dürfte in Zukunft aber auch verhängnisvolle Wirkungen auf die Mehrheit haben.
Dieses Recht ohne jegliche Ethik wird schließlich alle an den Rand des menschlichen Abgrunds bringen.
Goethes Worte aus »Der Gott und die Bajadere«;
»Soll er strafen, oder schonen,
Muß er Menschen menschlich sehen.«
finden im nationalsozialistischen Deutschland keinen Widerhall
5. Die Stände als Organe des Normenstaates
a. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung
In Angelegenheiten, die Juden betreffen, haben die Gerichte dem Druck des Maßnahmenstaates nachgegeben.
Da die Wirtschartskreise befürchten, die Gerichte könnten auch auf anderen Gebieten unter politischen Druck gesetzt werden, unterstützten sie alle Bestrebungen,
die Regelung der internen wirtschaftlichen Beziehungen dem Zugriff der politischen Instanzen zu entziehen und - soweit wie möglich - eine autonome Verwaltung aufzubauen.
Dies tritt besonders klar im Kartellrecht zutage.
12.Nov.1936 Ein Erlaß des Reichswirtschaftsmimsters vom- hat die staatliche Kartellaufsicht weitgehend auf Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung übertragen.
Das Schreiben des Ministers lautete: »Ich beabsichtige deshalb, die Organisation der gewerblichen Wirtschaft zur Mitwirkung bei der von mir ausgeübten Autsicht über die markttragenden Verbände heranzuziehen...Die Selbstverwaltung der Wirtschaft soll sich mit dafür verantwortlich fühlen, daß die marktregelnden Verbände sich bei ihren
Maßnahmen in Übereinstimmung mit der wirtschaftspolitischen Linie der Reichsregierung halten.«85
Der wichtigste Versuch der privaten Wirtschaft, sich dem Zugriff der Polizeibehörden zu entziehen, ist das Ständewesen.
150 Der Doppelstaat
Um die Theorie von der begrenzten Kompetenz der politischen Instanzen zu verwirklichen und um das Wesen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zu wahren, ist der »ständische« [CORPORATE][STÄNDIGE!] Aufbau der Wirtschaft in die Wege geleitet worden.
Der Name »ständisch« kann jedoch einen falschen Eindruck erwecken. Das Ständesystem des Dritten Reiches hat mit dem alten Ständesystem ungefähr soviel gemein
wie der Nationalsozialismus mit dem Sozialismus.
Der Begriff »Stände« dient den Wirtschaftskreisen nur als ideologische Verbrämung, um Eingriffe des Maßnahmenstaates abzuwehren.
Dieser Schutz besteht u. a. darin, daß Angelegenheiten, die zur Kompetenz der Stände gehören, für die Polizeigewalt de facto außer Reichweite liegen.
Ein Beitrag zum Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, einer offiziellen Publikation, zeigt, daß
die Nationalsozialisten ihre Ablehnung des »totalen Staates im quantitativen Sinne« durch den Ausbau des Ständewesens beweisen wollen.
In dem Artikel heißt es:
»Eine Zeit, die im Staat den alleinigen Träger öffentlicher Gewalt sah, konnte auch die ständische Rechtshoheit, soweit Ansätze vorhanden waren,
nur als eine vom Staat delegierte begreifen.
Der Nationalsozialismus, der im Staat nur Mittel, nicht Zweck, nur Form, nicht Inhalt, sieht, hat den Staat dieser omnipotenten Rolle entkleidet.«86
Es ist ein Axiom der nationalsozialistischen Staatslehre, daß die Polizeigewalt durch das Ständesystem ersetzt worden ist, soweit es sich um Angelegenheiten handelt,
die einzig und allein von ständischem Interesse sind.
Da dieser Satz Erstaunen zu erregen vermag, und im Gegensatz zum gängigen totalitären Konzept zu stehen scheint, zitieren wir im folgenden
einige bekannte Polizeirechtsspezialisten.
Knauth:
»Zwei gerade entgegengesetzte Auffassungen bestehen:
eine, die der Polizei im heutigen Staate einen...grundsätzlich sachlich unbegrenzten...Wirkungskreis zuschreibt und eine zweite...nach welcher der polizeiliche Aufgabenbereich...
enger als bisher ist. Deshalb tut sich...in der auf vielen Verwaltungsgebieten zu beobachtenden planmäßigen Schaffung besonderer selbständiger Ordnungen...die Neigung kund, die Polizei für die Erledigung der Verwaltungsaufgaben auf diesen Gebieten tunlichst auszuschalten.
Der innere Grund hierfür ist aber sicher darin zu suchen, daß diese Aufgaben überwiegend oder doch großenteils nach Rücksichten zu erledigen sind, die wahrzunehmen nicht Sache der >Polizei< ist.«87
Teil I, Kapitel III: Der Normenstaat 151
Schmidt:
»Die Polizeigewalt muß grundsätzlich gegenüber solchen auf Unterordnungsverhältnisse anderer Art begründeten Mitteln im Hintergrunde bleiben...(Die Polizei hat) es nicht mit der ständischen Ordnung...zu tun, sondern ausschließlich mit der Ordnung der Gesamtgemeinschaft.«88
Höhn:
»Die Grenze der Polizei endet heute mit den Aufgaben, die der Polizei durch die jeweiligen Ordnungen gestellt sind.«89
Hamel:
»Diese -Herausnahme besonderer Gemeinschaften...aus dem Amte der Polizei (gewinnt) für uns eine neue substantielle Bedeutung...Die Polizei ist nicht wieder total geworden...
Die natürliche Struktur der Volksgemeinschaft bestimmt die neuen Grenzen der polizeilichen Tätigkeit.., Die Aufgaben dieser Gemeinschaften gehören nicht zur Polizei.«90
von Koehler:
»Ergibt sich aus solchen Wandlungen nach mancher Richtung sicher eine Ausdehnung des Tätigwerdens der Polizeibehörden, so begegnet uns andererseits eine zum mindesten mittelbare Einschränkung desselben insofern, als die neuen berufsständischen Einrichtungen...wie eine Art Selbstpolizei...wirken....Der Staat hat gar keine Veranlassung, dasjenige Maß von Eigenrecht des Volksgenossen, das er selbst anerkennt, der Gefahr einer ungerechtfertigten oder gar willkürlichen Antastung auszusetzen.«91
Abschließend zitteren wir eine besonders extreme Ansicht.
Köttgen fordert schärfste Maßnahmen gegen jeden Verstoß gegen die völkische Lebensordnung und vertritt andererseits die Auffassung, die Polizei habe in einer auf Ordnungen aufgebauten Volksgemeinschaft »nur noch die Bedeutung einer Restverwaltung...die lediglich dort einzusetzen hat, wo diese besonderen Ordnungen noch nicht hinreichen...Überall dort, wo...besondere Pflichtverhältnisse begründet worden sind, hat die Polizei ihre ursprüngliche Bedeutung verloren«.92
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83 Reichsgericht, 27. Juni 1936 [Seufferts Archiv, Bd. 91, S. 65).
84 Ib., S. 68.
85 Erlaß des Reichswirrschaftsministers, Kart. Rundsch. 1936, S. 754.
86 Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bei. V7//, Berlin 1936, Artikel: "Stand", S- 683.
87 Knauth, »Die Aufgaben der Polizei im nationalsozialistischen Staat", D.J. 2. 1936, S. 1206,1210 (Hervorhebungen im Original).
88 Georg Schmidt, »Zu einem Reichspolizeigcsetz«, R. Verw. Bl. 1935, S, 833 ff-, S- 838.
89 Reinhard Höhn, "Die Wandlungen im Poiizeirechts Dtsch. Rw. 1936, S. 100 ff., S. 114.
90 Walter Hamel in Frank, Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937, S. 391 (Sperrungen im Original).
91 Ludwig von KoehJer, Gmndlehren des Verwalütfigsrechts, Berlin und Stuttgart 1935, S. 347/8 und Anm. 77 (Sperrungen im Originai).
92 Amold Köttgen, Deutsche Verwaltung, 2. Aufl. Berlin 1937, S. 152/3.
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