https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,245293,00.html
18.Apr.2003 Nach Ende der Kriegshandlungen
drängen auch die großen Intellektuellen zu Stellungnahmen.
"Was bedeutet der Denkmalsturz?"
lautet die Überschrift zu Jürgen Habermas' langem Artikel, und gleich die Unterzeile konstatiert:
"Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern."
Die Frage dieser Tage formuliert Habermas so:
"Schlechte Konsequenzen können eine gute Absicht delegitimieren.
Können gute Konsequenzen nicht doch eine nachträglich legitimierende Kraft entfalten?"
Letztlich kommt er aber zur Konsequenz,
dass das Völkerrecht auch von einem "guten Hegemon" nicht gebrochen werden darf.
Einen der Widersprüche,
in die sich dieser gute Hegemon vestricken könnte,
kleidet Habermas in eine weitere Frage:
"Würde die Bush-Doktrin nicht erst recht kontraproduktive Maßnahmen für den nicht unwahrscheinlichen Fall fordern,
dass die Bürger in Syrien, Jordanien, Kuweit und so weiter von den demokratischen Freiheiten ,
die ihnen die amerikanische Regierung bescheren will, einen unfreundlichen Gebrauch machten?"
https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,druck-244974,00.html
18.Apr.2003 Mit ihrer Kritik am Überwachungsapparat der US-Einwanderungsbehörde INS
steht die Hochschullehrerin keinesfalls alleine da.
Nicht nur seitens vieler Universitäten,
sondern auch der US-Politik nimmt die Zahl der Sevis-Skeptiker immer weiter zu.
"Bei allem Potenzial von Sevis müssen wir das System weiter stark verbessern", erklärte Glenn Fine, Generalinspektor des US-Justizministeriums jüngst bei einer Anhörung vor dem US-Parlament.
"Vor allem muss die Nutzung vereinfacht und die Zuverlässigkeit erhöht werden." Verhaftung nach Softwarefehler?
https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,244974,00.html
18.Apr.2003
"Dieses Projekt, das hier als amüsant und nützlich bezeichnet wird,
jagt mir Angst und Schrecken ein", sagt eine in den USA arbeitende
deutsche Professorin, die aus Furcht vor Repressalien nicht namentlich genannt werden möchte.
"Wozu müssen die Unis bitte wissen, wo genau sich ausländische Studenten zu welchem Zeitpunkt aufhalten?"
Dabei sei es völlig ausreichend, zu Semesterbeginn zu melden, welche Studenten tatsächlich an den Veranstaltungen teilnehmen.
Mit ihrer Kritik am Überwachungsapparat der US-Einwanderungsbehörde INS steht die Hochschullehrerin keinesfalls alleine da.
Nicht nur seitens vieler Universitäten, sondern auch der US-Politik nimmt die Zahl der Sevis-Skeptiker immer weiter zu.
"Bei allem Potenzial von Sevis müssen wir das System weiter stark verbessern", erklärte Glenn Fine, Generalinspektor des US-Justizministeriums jüngst bei einer Anhörung vor dem US-Parlament.
"Vor allem muss die Nutzung vereinfacht und die Zuverlässigkeit erhöht werden."
Verhaftung nach Softwarefehler?
Wie sich bereits in wenigen Wochen Betriebszeit zeigte, birgt das System enorme Schwächen.
Zum einen sind - wie auch Fine bemängelt - die Nutzer der Sevis-Datenbanken an den Unis nur schlecht geschult und mit der Datenaufbereitung überfordert.
Zum anderen hat das System große technische Probleme, so dass es aufgrund von Softwarefehlern schon mehrfach zu Datenverlusten oder falschen -übertragungen gekommen ist. Dass schon minimal falsche Status-Informationen drastische Konsequenzen haben können, demonstrieren einige zweifelhafte Verhaftungen von Studenten und Doktoranden aus Iran und Saudi-Arabien, so etwa an der Universität von Idaho und der Universität von Colorado.
Nicht erst seit Bekanntwerden dieser Fälle geht unter Studenten, vor allem aus muslimischen Ländern, aber auch aus Russland, China, Indien oder Korea, die Angst um.
Immer mehr US-Hochschulgäste dieser Nationalitäten vermeiden mittlerweile auch Auslandsreisen:
Und zwar aus Furcht davor, nicht wieder in die USA einreisen + Studium oder Projekte fortführen zu können.
Was nicht nur dazu führt, dass Konferenzen im Ausland sausen gelassen, sondern auch Heimaturlaube immer unbeliebter werden. https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,244974,00.html
18.Apr.2003 "Die Bemühungen unserer Regierung, ausländische Besucher im Namen der nationalen Sicherheit zu überwachen, haben negative Folgen für die amerikanische Wissenschaft", warnte jüngst das Board on International Scientific Organizations der NAS in einem Arbeitspapier. "Selbst für herausragende junge Wissenschaftler wird es zunehmend schwerer, in die USA einzureisen.
So frustrierend das sein mag, die Situation wird sich in absehbarer Zeit kaum verbessern."
Dabei ist die US-Wissenschaft dringend auf qualifizierte Gäste angewiesen.
Und das aus zwei triftigen Gründen: Erstens zahlen Ausländer volle Studiengebühren und pumpten der Austauschorganisation NAFSA zufolge im akademischen Jahr 2001/2002 11,95 Milliarden Dollar in die kränkelnde US-Wirtschaft - aktuellere Zahlen liegen nicht vor, die Association of American Colleges and Universities (AAC&U) befürchtet jedoch, dass sich das Gebührenaufkommen aus ausländischen Einschreibungen in Folge von 9/11 verringert haben dürfte. https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,244974,00.html
18.Apr.2003 Systematische Überwachung, monatelange Wartezeiten bei Visa-Anträgen, Meldepflichten, FBI-Bespitzelung, grundlose Verhaftung nach scheinbar falsch angemeldetem Studienfachwechsel, Abschiebung nach Schummeln beim Englisch-Test. Die Terrorangst in den USA zollt ihren Tribut in der US-Wissenschaft: Die Schikanen im Zeichen der Sicherheit gegen ausländische Studenten und Forscher - nicht nur aus muslimischen Ländern - häufen sich.
Vor allem bei der Vergabe von Einreisegenehmigungen. Inzwischen werden Studenten und Gastwissenschaftler nur noch unter derart erschwerten Bedingungen ins "Land of the Free" gelassen, dass sich Institutionen wie die National Academy of Sciences (NAS), die Dutzende abstruser Fälle frustrierter oder abgewiesener Wissenschaftler dokumentiert, bereits öffentlich um die "Universalität der Wissenschaft" sorgen. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,245224,00.html
18.Apr.2003 Der Analyse zufolge wurden zwischen 1961 und 1971 gut sieben Millionen Liter mehr Herbizide versprüht als zuvor angenommen, ein Großteil davon war vermutlich schwer mit giftigen Dioxinen belastet. Die Schätzungen, wie viel Dioxin durch die Sprühaktionen insgesamt in die Umwelt gelangte, haben sich damit fast verdoppelt. Der Dioxinanteil in den Herbiziden schwankte zwar sehr stark, was Hochrechnungen erschwert, doch den Forschern zufolge wurde der Giftgehalt bislang wahrscheinlich unterschätzt.
Wie die Auswertung der Flugrouten ergab, wurden mehrere tausend kleine Dörfer direkt mit den Chemikalien besprüht. So kamen mindestens zwei Millionen, möglicherweise aber auch fast fünf Millionen Vietnamesen in direkten Kontakt mit den Giften. Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung, aber auch für US-Soldaten, die ebenfalls besprüht wurden oder in kontaminierten Gebieten im Einsatz waren, ließen sich dank der verbesserten Datenlage nun genauer untersuchen, hoffen die Wissenschaftler. https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245409,00.html
18.Apr.2003 "Für die internationalen Ölkonzerne bietet der Irak in einer Welt, in der es immer schwieriger wird, neue Ölressourcen zu erschließen, die besten Chancen seit Jahrzehnten", schreibt der "Petroleum Economist". Alle wollen sie daher dabei sein, wenn die Beute verteilt wird - auch die Kriegsgegner. Und sowohl Frankreich als auch Russland wissen: Als Mitglieder der "Koalition der Unwilligen" haben sie beim Great Games 2003 nicht die besten Karten. Im Zweifel dürften Konzerne aus den Siegerländern wie Chevron Texaco und BP, die beide bereits vorsichtig Interesse bekundet haben, als erste zum Zug kommen.
Russland hat auch noch andere Sorgen: Das Land ist einer der größten Erdölexporteure. Überschwemmt nach einer Aufhebung der Sanktionen billiges irakisches Öl den Weltmarkt, so befürchtet man im Kreml, würde ein Preisverfall große Förderprojekte in Sibirien unrentabel machen. Die Produktionskosten für russisches Öl sind deutlich höher als für irakisches. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hat zwar grundsätzliche Zustimmung zu einer Aufhebung der Sanktionen signalisiert, will sich jedoch noch nicht auf irgendwelche Details oder gar einen Zeitrahmen einlassen. https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245409,00.html
18.Apr.2003 Tatsächlich wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich die Uno legitimiert, irakisches Erdöl zu fördern und zu verkaufen. Denn noch hat die Uno ein Embargo über das Land verhängt.
Der Irak darf allenfalls im Rahmen des Programms "Oil for Food" in begrenztem Maße Öl exportieren.
Damit die Sanktionen aufgehoben werden können, müssten zunächst die Uno-Waffeninspektoren in den Irak zurückkehren und definitiv bestätigen, dass sich dort keine Massenvernichtungswaffen befinden.
Bush hält solchen Aufwand offenkundig für unnötig.
Der US-Präsident argumentiert, der Irak sei doch jetzt befreit, die Sanktionen sollten also schleunigst aufgehoben werden.
Dass die zentrale Begründung für den - gegen den Willen der Vereinten Nationen geführten - Irak-Krieg stets die Entwaffnung des Landes war und die Amerikaner bislang jeden glaubhaften Beweis schuldig blieben, dass sich im Irak Massenvernichtungswaffen befinden, ficht Bush offenbar nicht an.
Fraglich also, ob sich die Kriegsgegner im Weltsicherheitsrat, namentlich Russland und Frankreich, der amerikanischen Position anschließen werden.
Schon haben sich russische Politiker für einen Fortbestand der Sanktionen ausgesprochen. "Man muss zuerst Klarheit darüber haben, was die Amerikaner bezwecken", sagte heute der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma, Dmitri Rogosin.
https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,245342,00.html
18.Apr.2003 Inzwischen wurde auch die erste SARS-Erkrankung aus Indien gemeldet. Die Gesundheitsbehörden bestätigten am Donnerstag einen Fall der gefährlichen Lungenkrankheit.
Ein 32-Jähriger aus der Region um Goa sei im Anschluss an einen Aufenthalt in Hongkong und Singapur erkrankt, sagte der Generaldirektor der Gesundheitsverwaltung, S.P. Agarwal. Unter SARS-Verdacht wird auch eine Neuseeländerin in Neu-Delhi behandelt. Auch Jordanien meldete einen ersten SARS-Verdachtsfall.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245388,00.html
18.Apr.2003 In dem Bericht heißt es zudem, die Untersuchungen seien von der Soldaten und Polizisten behindert worden.
Wichtige Beweise seien verheimlicht oder vernichtet worden. Stevens empfiehlt nun, die Sicherheitskräfte künftig stärker zu kontrollieren. Er bezeichnete seine Untersuchung als die umfangreichste, die je in Großbritannien vorgenommen worden sei. Seit 1989 hat Stevens die Fälle untersucht und sein eigentliches Ziel ist immer noch, die Mörder von Pat Finucane vor Gericht zu bringen. Zudem untersucht er weiter, bis zu welcher Hierarchieebene der Geheimdienste und Polizei die geheime Zusamenarbeit mit den Terroristen ging. Katholische Politiker in Nordirland werfen der protestantisch dominierten Polizei und den britischen Streitkräften seit langem vor, protestantische Terrororganisationen zu decken und ihnen wichtige Informationen zuzuspielen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245388,00.html
18.Apr.2003 Der Londoner Polizeichef Sir John Stevens legte am Donnerstag in Belfast den Bericht vor, an dem er seit 1989 gearbeitet hatte.
Demzufolge haben britische Agenten und Polizisten mit protestantischen paramilitärischen Gruppen zusammen gearbeitet.
Zudem soll der militärische Geheimdienst dabei aeholfen haben, den Konflikt auszuweiten.
Ganz konkret sollen die britischen Besatzer mit der Ulster Defence Association (UDA) zusammengearbeitet haben, der gößten paramilitärischen Gruppierung.
Dabei sollen mindestens zwei Morde gemeinsam begangen worden sein: an dem katholischen Anwalt Pat Finucane 1989 und an dem Studenten Adam Lambert 1987.
"Ich komme zu dem Schluss, dass es in beiden Mordfällen geheime Absprachen gegeben hat," sagte Stevens bei der Vorstellung des Berichts in London.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245423,00.html
18.Apr.2003 Russische Politiker sprachen sich hingegen für einen Fortbestand der Wirtschaftssanktionen aus. In Uno-Kreisen hieß es, die Sanktionen des Weltsicherheitsrates seien völkerrechtlich bindend und könnten ohne Erfüllung der gestellten Bedingungen nicht einfach aufgehoben werden. So etwas habe es in der fast 60-jährigen Uno-Geschichte noch nie gegeben. Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen wäre unter anderem die Klärung der Frage, ob der Irak weiter über Massenvernichtungswaffen verfügt oder nicht. Die Uno hatten die Sanktionen unmittelbar nach der Besetzung Kuweits durch irakische Truppen im August 1990 verhängt. https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245349,00.html
18.Apr.2003 In unerwarteten Schwierigkeiten befinden sich derweil die Amerikaner im Südirak, berichtet die kuweitische Tageszeitung "al-Rai al-Aam":
"In den vergangenen zwei Tagen waren die Mitarbeiter von Ex-General Jay Garner durch Konsultationen bei kuweitischen Schia-Experten und in Forschungszentren in Washington völlig in Anspruch genommen. Sie haben nicht erwartet, dass es notwendig ist, sich in Details der dschafaritischen Rechtsschule zu vertiefen, um die Kämpfe zwischen deren Anhängern im Südirak unter Kontrolle zu bringen. Washington hat mit erneuten Schwierigkeiten zu kämpfen, weil schiitische Gruppen die Konferenz von Nassirija boykottieren." Ein Assistent von Garner zu "al-Rai al-Aam": "Ich habe nicht gewusst, dass es in einem kleinen Gebiet wie dem Südirak eine solche Vielfalt an Ansichten gibt." https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,245281,00.html
17.Apr.2003 Als sich Anfang des Monats
im noblen Salon der "Britischen Akademie"
unweit des Buckingham-Palasts
die linksliberale Londoner Elite
zur Verleihung der George-Orwell-Preise traf,
hieß die Parole unter den Publizisten, Politikern und Professoren:
"Don't mention the war!" ("Erwähnt den Krieg nicht!")
Die Übertragung dieses geflügelten Wortes
über den Umgang mit den Deutschen und dem Zweiten Weltkrieg
auf den Krieg im Irak
kommt wie klassischer britischer Humor daher,
hat aber einen bitterernsten Hintergrund.
Gerade jene Intellektuellen und Meinungsmacher,
die über Jahre Tony Blair treu unterstützt haben,
beobachten mit zunehmender Angst und Abscheu,
wie sich ihr Premier
auf Gedeih und Verderb
mit US-Präsident George W. Bush verbündet und
damit die Position Großbritanniens in Europa unterminiert hat.
Sie fürchten,
dass Blair
in einer von den Washingtoner Neo-Konservativen diktierten neuen Weltordnung
dauerhaft
die Rolle des Hilfssheriffs des amerikanischen Weltpolizisten übernehmen könnte.
"Er ist völlig unzugänglich", klagte Polly Toynbee,
Star-Kolumnistin des "Guardian",
die den Premier gerade zum Lunch getroffen hatte.
"Ich sehe nicht,
wie er die Beziehungen mit Frankreich und Deutschland wieder reparieren kann."
"Mit Nordkorea fertig werden"
Die Depressionen von europäisch denkenden Briten wie Toynbee sind wohlbegründet.
Ihnen ist klar,
dass die Allianz Blairs mit Bush kein temporäres Zweckbündnis ist,
das nach dem Sturz Saddam Husseins seine Schuldigkeit getan hat.
Schon das gemeinsame Besatzungsregime im Irak
wird Washington und London über Monate und Jahre zusammenschweißen.
Niemand kann sich der Illusion hingeben,
Tony Blair,
der sich durch den schnellen Sieg im Irak gestärkt fühlt,
würde alsbald aus dem von der US-Regierung
auf Jahrzehnte projizierten "Krieg gegen den Terror" desertieren.
Lange vor der Invasion des Irak hat der Premier angekündigt,
dass es anschließend darum gehe, "mit Nordkorea fertig zu werden".
Tony Blair,
für den der 11. September 2001 zu einem Erweckungserlebnis wurde,
hat die Bush-Doktrin der "pre-emptive action" adoptiert
und sieht Großbritanniens Platz nach dem Zerfall der bipolaren Welt des Kalten Krieges
an der Seite der amerikanischen Hypermacht.
Dabei kann er auf der von Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt begründeten
"special relationship" aufbauen,
die dank der Waffenbrüderschaft im Irak
so eng ist wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Positives Verhältnis zum Krieg
Zu dieser "besonderen Beziehung"
gehört schon lange die intensive Kooperation der Geheimdienste,
die im englischen Cheltenham eine Hightech-Abhörzentrale betreiben.
Hinzu kommt die militärische Abhängigkeit der Briten,
deren mit Nuklearwaffen bestückten U-Boote beispielsweise
ihre Ziele nur mit Hilfe von US-Satelliten finden.
Als Mutterland des modernen Kapitalismus
verbindet Großbritannien nicht nur die Sprache mit den USA,
sondern auch der Glaube an die Allheilkräfte des Freien Marktes.
Beide Nationen haben zudem ein positives Verhältnis zum Krieg.
Im Gegensatz zu den Kontinental-Europäern,
für die der Zweite Weltkrieg Zerstörung und Elend brachte,
ist Krieg aus der anglo-amerikanischen Erfahrung etwas,
das sich fern der Heimat abspielt und mit einer prächtigen Siegesparade endet.
Dass er - wie die meisten Engländer - eben doch kein echter Europäer ist, demonstrierte Blair,
als er sich im vergangenen Herbst instinktiv auf die Seite von Bush schlug,
statt auf die Schröders und Chiracs.
Statt in der Irak-Krise seinem eigenen Anspruch zu folgen
und als "Brücke" über den Atlantik zu fungieren,
organisierte er in Rumsfelds "Neuem Europa" Solidaritätsadressen für Washington,
und die trieb die Spaltung der EU voran.
In den USA populärer als Bush
Demnächst wird der US-Kongress dem britischen Premier "für seine Entschlossenheit,
die Welt vor der terroristischen Bedrohung zu schützen",
den höchsten amerikanischen Orden verleihen,
mit dem seit Churchill kein Brite mehr ausgezeichnet wurde.
Laut Meinungsumfragen in den USA ist Tony Blair,
den "Time" als "amerikanischen Premierminister" feierte,
sogar noch populärer als sein Freund Bush.
In seiner Heimat erreicht er eine solche Beliebtheit nicht,
auch wenn er dank des kurzen Krieges sein Popularitätstief einigermaßen überwinden konnte.
Seine eigene Partei ist nicht befriedet.
Als
Mitte März 2003
139 Labour-Abgeordnete im Unterhaus gegen seinen Kriegskurs stimmten,
war dies die größte parteiinterne Revolte in der britischen Parlamentsgeschichte.
Solange Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen,
mit denen Blair den Krieg begründet hatte,
nicht auftauchen,
lassen sich die meisten Dissidenten auch nicht umstimmen.
Die von Blair mitgetragene Ausschaltung der Uno bei der Demokratisierung des Irak
ist auch nicht hilfreich bei der Überwindung der parteiinternen Spaltung.
Zu einem entscheidenden Test für die Parteiführung
werden die Wahlen für die Parlamente in Wales und Schottland
sowie für die englischen Gemeinderäte
am 1. Mai.
Nach den letzten Umfragen
hat Labour in jedem Fall
erhebliche Stimmeneinbußen zu erwarten
und könnte in Edinburgh auf den Oppositionsbänken landen.
In der falschen Partei?
Tony Blair
hat eine bizarre Umwälzung der politischen Landschaft Britanniens zu Wege gebracht:
Der Chef der Konservativen, Ian Duncan Smith,
gratulierte ihm nach dem Fall Bagdads zu dem
"am brillantesten ausgeführten Feldzug der jüngeren Geschichte".
Die Rolle der Opposition
haben die Dissidenten der Labour Party eingenommen.
Sie können sich immer weniger des Eindrucks erwehren,
dass der schon lange als "Thatchers Erbe" titulierte Premier
einfach der falschen Partei vorsteht.
Eine ähnlich verkehrte Welt zeichnet die veröffentlichte Meinung aus.
Die Blair traditionell unterstützenden linken und liberalen Blätter
haben die Liaison mit Bush und den Krieg abgelehnt,
dafür feiern ihn die rechten Blätter jetzt als Kriegshelden.
Sie wittern zudem die Chance,
angesichts des tiefen Grabens zwischen der Blair-Regierung und den europäischen Partnern,
den Beitritt zum Euro ein für alle mal von der Tagesordnung zu bekommen.
Den über den Tellerrand der anglophonen Welt blickenden Briten dagegen
wird Angst und Bange.
Mit dem Krieg hat Blair den Ruf Britanniens nicht nur in den arabischen Ländern,
sondern in der gesamten Dritten Welt auf einen Tiefpunkt gebracht.
Aufgebrachte Araber und Muslime
belassen es bei Demonstrationen nicht mehr beim rituellen Verbrennen von Bush-Puppen
und US-Fahnen,
sondern zünden mittlerweile auch Union Jacks und Blair-Imitate an.
Selbst in Athen
deckten während des EU-Gipfels Demonstranten die britische Botschaft mit Steinen ein.
Beatles, BBC und Bobby Charlton
James Galloway,
ein linker Blair-Kritiker der Labour-Fraktion,
hält das Selbstbild der Briten aus "Beatles, BBC und Bobby Charlton" deshalb
für überholten Selbstbetrug
und warnt seine Landsleute:
"Ihr werdet als Schwanz eines riesigen, dummen und bösartigen Hundes gesehen."
Galloway wettert gegen den "neuen Imperialismus"
und verlangt, die anglo-amerikanischen Beziehungen müssten anders aussehen
"als die zwischen Miss Lewinsky und Präsident Clinton -
einseitig, grotesk ungleich und mit dem schwächeren Partner immer auf den Knien."
Im bürgerlichen Spektrum ist Timothy Garton Ash ziemlich allein auf weiter Flur,
wenn er den Irak-Krieg als Katalysator globaler Umwälzungen beschreibt.
"Der geopolitische Westen des Kalten Krieges
ist vor unseren Augen kollabiert",
so der Oxforder Historiker.
Ash hält es für Blairs Aufgabe,
die transatlantischen Beziehungen wieder zu beleben,
obgleich er einräumt:
"Mit Donald Rumsfeld auf der einen Seite
und Jacques Chirac auf der anderen
stehen die Chancen nicht sonderlich gut."
Solche Debatten haben für Engländer allerdings etwas Anrüchiges.
Intellektuelle gelten traditionell als tendenziell totalitäre Utopisten,
die vornehmlich aus Frankreich oder Deutschland kommen.
Tony Blair operiert denn auch,
wenn er über internationale Politik spricht,
lieber mit den moralischen Kategorien eines englischen Dorfpfarrers,
bei dem sich die Welt schön übersichtlich in Gut und Böse aufteilt.
Gerade bekannte er,
dass er sich bei seinen Entscheidungen
mehr von seinem "Urteilsvermögen" leiten lässt
als von seinem "Intellekt".
Polly Toynbee und ihre linksliberalen Freunde
werden so etwas schon befürchtet haben.